Pharmavertrieb im Spiegel der Arbeitsgesetze

Was kommt mit dem neuen Arbeitnehmerüberlassungs­gesetz ab dem 01.04.2017 auf uns zu?

Inhaltsverzeichnis

  1. Executive Summary
  2. Einleitung
  3. Grundlagen des pharmazeutischen Vertriebs mit externen Außendienstmitarbeitern
  4. Welche Möglichkeiten gibt es im Vertriebs-Outsourcing?
  5. Entwicklung der Leasing-Außendienstbranche des Arbeitnehmerüberlassungsgesetz AÜG
  6. Was ändert sich mit der AÜG-Reform 2017?
  7. Chancen und Optionen der AÜG-Reform 2017 aus Sicht der Vertriebsverantwortlichen der pharmazeutischen Industrie
  8. Fazit
  9. Über den Autor

1. Executive Summary

Pharmamarketing und –vertrieb sind Wertetreiber und Kostenblock zugleich. Zur Risikoreduktion und Flexibilisierung wird auch auf externe Ressourcen zugegriffen („Leasing-Außendienst“, „rented sales force“, „Contract Sales Organisation“ u.a. Begriffe).

Die Verlängerung der Höchst­verleihdauer im Arbeitnehmer­überlassungs­gesetz (AÜG) im Jahr 1997 von neun auf zwölf Monate war der Startschuss dieser Pharma Service Nische in Deutschland und hat das Healthcare Marketing revolutioniert.

Ab dem 01.04.2017 gilt das neue AÜG. Für die klassische Überlassung von Außendienstmitarbeitern sind die Begrenzung der Verleihdauer auf 18 Monate sowie das Prinzip „Equal Pay – Equal Treatment“ nach 9 Monaten die wichtigsten Neuerungen.

Altverträge können bis 30.09.2018 weitergeführt werden.

In den meisten Fällen ist in der Arbeitnehmerüberlassung im pharmazeutischen Vertrieb „Equal Pay – Equal Treatment“ bereits heute realisiert, z.B. durch Anlehnung an Tarifverträge und Realisierung von Branchenzuschlägen. Ein Check der Verträge zum 01.04.2017 wird dennoch dringend empfohlen.

 

2. Einleitung

Die pharmazeutische Welt ist im Umbruch. Zwar sichern sowohl immer neue Produkte mit neuartigen Wirkstoffen und Wirkstoffkombinationen, als auch die demografische Veränderung eine stetig steigende Nachfrage bei der Pharmaindustrie. Auf der anderen Seite sind die Massenmärkte mit hohen Patientenzahlen aber zugleich auch mit hohen Risiken behaftet (vgl. Vioxx® oder Lipobay®) oder fallen durch die Evidenzmethodik des Gemeinsamen Bundesausschusses aus der Erstattungsfähigkeit (z.B. Brintellix®), was aus der Perspektive des Herstellers oft das wirtschaftliche Ende des Medikaments bedeutet, da ohne erwiesenen Zusatznutzen nur der Preis der Standard-Therapie (zumeist Generika) erstattet wird, womit der Hersteller gezwungen ist, den Preiskampf „race against the bottom“ mitzugehen, um überhaupt Verschreibungen seitens der Ärzteschaft zu generieren.

Erfolgversprechender sind hochpreisige Produkte bei schweren oder seltenen Erkrankungen. Dadurch verliert die Zielgruppe der gut 50.000 Allgemeinmediziner, Praktiker und Internisten in Deutschland für die forschende Pharmaindustrie an Bedeutung. In der Folge reduziert sich die Gesamtzahl der Pharmaberater und Pharmareferenten bundesweit ebenfalls. Von ehemals über 20.000 Außendienstmitarbeitern im Pharmavertrieb sind mittlerweile nur noch schätzungsweise 12.000 tätig. Alternative Vertriebskanäle wie Telesales und Cross-Media gewinnen an Bedeutung.

Dennoch existieren nach wie vor Belastungsspitzen im Pharmavertrieb, vor allem in der Einführungsphase neuer Produkte. Diese werden von gut 10 Pharmavertriebs-Service- Unternehmen aufgefangen. Um die Beschäftigungs­lage zu bessern und neue Jobs zu schaffen, wurde 2003 im Arbeitnehmer-Überlassungs-Gesetz (AÜG) eine unbegrenzte Höchstverleihdauer ermöglicht. Seitdem dominiert diese Rechtsform das Outsourcing von Pharmareferenten und Medizinprodukteberatern.

Am 16.10.2016 und 28.11.2016 wurde im Bundestag und Bundesrat eine Reform des AÜG beschlossen, die besonders den Missbrauch eindämmen sollte und die gute Beschäftigungslage widerspiegelt. Die Reform tritt zum 01.04.2017 in Kraft.

 

3. Grundlagen des pharmazeutischen Vertriebs mit externen Außendienstmitarbeitern

Pharmamarketing und -vertrieb sind Wertetreiber und Kostenblock zugleich. Außerdem sind die Risiken gestiegen: Pharmazeutische Innovationen, Unternehmenszusammenschlüsse und die Gesundheitspolitik reduzieren die Planbarkeit des Vertriebserfolges im Rx-Bereich.

Besprechung

Im OTC Geschäft steigt der Marktdruck. Medizinprodukte erfahren regulatorischen Druck. Die Flexibilisierung der Marketing- und Vertriebsressourcen ist eine Antwort auf die veränderten Rahmen-bedingungen im Healthcare Marketing.

 

4. Welche vertraglichen Möglichkeiten gibt es im Vertriebs-Outsourcing?

Werkvertrag

Werkverträge sind die typische Vertragsform für die Zusammenarbeit mit Werbeagenturen. Hier wird ein Werk geschuldet wie z.B. eine Anzeige oder ein Webauftritt. Im Außendienstbereich sind sie nicht üblich.

 

Dienstleistungsvertrag

Hier beschreibt der Auftraggeber die Leistung, die erbracht werden soll. Diese Rechtsform war bis 1997 im Vertriebs-Outsourcing vorherrschend, da die maximale Höchstverleihdauer auf neun Monate begrenzt war und diese Zeitspanne nur schwer eine Werbeerfolgskontrolle zulässt. Die Leistungsbeschreibung umfasst qualitative Aspekte wie z.B. Zielgruppe, Botschaft, Dokumentation etc., aber auch quantitative Inhalte wie Arbeitstage, Besuche pro Arbeitstag, Besuchsfrequenz in der Zielgruppe u.a.m. Wesentliche Abgrenzung zur Arbeitnehmerüberlassung ist die disziplinarische Weisungsbefugnis, die vom Auftragnehmer ausgehen muss.

 

Arbeitnehmerüberlassungsvertrag

Die Überlassung von Pharmareferenten, Pharmaberatern und Medizinprodukteberatern ist vertraglich im AÜG geregelt. Hier werden auch Sanktionen genannt, wenn gegen AÜG-Vorschriften verstoßen wird. Prinzipiell ist der überlassene Healthcare-Vertriebsmitarbeiter genauso zu behandeln, wie die Mitarbeiter im Entleihbetrieb. Dies schließt die disziplinarische Weisungsbefugnis ebenso ein wie die arbeitgeberische Fürsorgepflicht und die Anrechenbarkeit bei der Ermittlung der Betriebsratsgröße.

 

Unterschiede der Arbeitnehmerüberlassung zur Dienstleistung im pharmazeutischen Außendienst

 

Unterschiede der Arbeitnehmerüberlassung zu Dienstleistung

Beide Formen des Außendienst-Leasings bieten strategische Vorteile. Was sich für die aktuelle Vertriebsstrategie eines Herstellers am besten eignet, muss jeweils individuell geprüft werden.

 

5. Entwicklung der Leasing-Außendienstbranche in Abhängigkeit vom Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG)

Das AÜG ist ein Steuerungsinstrument in der Gestaltung der sozialen Marktwirtschaft. Es ist seit 1972 einem Wandel unterzogen. In Interferenz mit den jeweiligen Megatrends der Pharmaindustrie und Medizinprodukteindustrie verändern sich die Angebotsstrukturen und Mitarbeiterzahlen in der Healthcare-Vertriebsbranche.

 

Entwicklung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes seit 1972

Die maximale Verleihdauer der Außendienstmitarbeiter wurde seit 1972 etappenweise von 3 Monaten auf bis zu 24 Monaten im Jahr 2001 angehoben. Seit 2003 ist sogar zeitlich unbegrenzte Überlassung möglich. Mit dem neuen Gesetz in 2017 wird hier nun wieder eine maximale Verleihdauer von 18 Monaten eingeführt.

Das Synchronisationsverbot zwischen Entleihbetrieb und Dienstleister wurde 2003 aufgehoben, dafür herrscht seither Equal Pay – Equal Treatment. Tarifverträge sind ebenfalls möglich. Seit 2011 verfügen Leiharbeitnehmer über ein aktives Wahlrecht im Entleihbetrieb und sind auf dessen Betriebsratsgröße anrechenbar. Seit 2014 ist außerdem ein gesetzlicher Mindestlohn vorgeschrieben.

 

Entwicklung des Produkt- und Arbeitsmarktes im pharmazeutischen Sektor in den letzten 3 Jahrzehnten

Die 1990er

In den 1990er Jahren gibt es viele Neueinführungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel (Rx) in Massenmärkten. Der Generika-Markt boomt. Immer mehr freiverkäufliche Apothekenprodukte werden rezeptiert (OTX).

Marketing-Offensiven finden sich vor allem in den Medien, bei Kongressen und auf Fortbildungen. Die maximale Verleihdauer in der Arbeitnehmer­überlassung wird schrittweise bis auf 12 Monate angehoben. Die Zahl der Vertriebsmitarbeiter steigt deutschlandweit von ca. 13.000 auf über 22.000 Beschäftige.

Die ersten Dienstleistungsunternehmen für Leasing von Pharma-Vertriebsmitarbeitern entstehen. Der Trend im Vertriebs-Outsourcing geht weg von Dienstleistungsprojekten hin zur Arbeitnehmerüberlassung.

Die 2000er

Neueinführungen verschreibungspflichtiger Arzneimittel (Rx) finden vornehmlich in Nischenmärkten statt. Das Generika-Business wird von Preisverfall und Rabattverträgen getrieben, während die OTX-Verschreibungen deutlich zurückgehen.

Klassisches Marketing wird rückläufig, hinzukommt das Zeitungssterben und der Wandel ins Informationszeitalter (Internet). Die Verleihdauer für Arbeitnehmerüberlassung ist seit 2003 nicht mehr begrenzt. Tarifverträge und das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden eingeführt. Die Zahl der Vertriebsmitarbeiter im pharmazeutischen Außendienst sinkt von über 20.000 wieder auf knapp 13.000.

Die Zahl der Dienstleistungsunternehmen für Pharma-Marketing und -Vertrieb steigt von 6 auf 12, ab 2008 nimmt GPS seine Tätigkeit in Waiblingen auf.

 

Die 2010er bis heute

Rx-Neueinführungen sind rückläufig und treten fast nur noch in Nischen oder bei seltenen Erkrankungen (Orphan Drug Business) auf. Im Generika-Sektor findet ein erbitterter Preiskampf (race against the bottom) statt. Der wenig regulierte OTC-Markt wird zunehmend attraktiver für viele Hersteller.

Marketing findet zunehmend digital statt. Emails, personalisierte Landing-Pages und Social Media spielen eine immer größere Rolle. Auch Alternativen zum Außendienst werden häufiger angefragt: Hierzu zählen Telesales, Print-Aussendungen oder Cross-Media-Kampagnen.

Zusätzlich reguliert §299 die geschäftliche Kommunikation, um Korruption und Bestechlichkeit zu bekämpfen. Nach 9 Monaten Verleihdauer greift für Leiharbeiter außerdem „Equal Pay – Equal Payment“ (Tarifvertrag Zeitarbeit).

Die Zahl der Außendienstmitarbeiter sinkt kontinuierlich auf unter 10.000. Auch die Zahl der Pharma-Dienstleister sinkt wieder.

Der Trend im Marketing und Vertrieb geht wieder weg von der Arbeitnehmerüberlassung, hin zu Dienstleistungsprojekten.

Das neueste Gesetz zur Arbeitnehmerüberlassung tritt am 01.04.2017 in Kraft.

 

6. Was ändert sich mit der AÜG Reform 2017?

Der Reform geht ein Bundestagsbeschluss vom 16.10.2016, sowie ein Bundesratsbeschluss vom 28.11.2016 voraus. In Kraft tritt die neue Regelung ab 01.04.2017

  • Übergangsregelung: Auch bei Altverträgen beginnt die Verleihdauer nach neuem Gesetz am 01.04.2017. Bis 30.09.2018 besteht insoweit kein Höchstverleihdauerproblem
  • Rationale des Gesetzes: Eindämmung von Missbrauch der ANÜ
  • Höchstverleihdauer 18 Monate
  • Nach 9 Monaten grundsätzlich Equal Pay Equal Treatment
  • Bei Branchenzuschlägen (z.B. an IG BCE angelehnt) „Equal Pay – Equal Treatment“ erst nach 15 Monaten
  • Tarifvertragsregelungen nach wie vor möglich (z.B. BZA), auch Öffnungsklausel über längere Verleihzeiten in Ausnahmefällen möglich
  • Nach drei Monaten Pause kann derselbe Arbeitnehmer wieder eingesetzt werden
  • Nachbesetzung durch überlassenen Mitarbeiter möglich
  • Rahmenverträge nach wie vor möglich und gültig
  • Kappen der sog. Fallschirmregelung durch eindeutige Benennung von Arbeitnehmerüberlassung im Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher
  • Anrechenbarkeit auf Betriebsratsgröße erst ab Verleihdauer von 6 Monaten

7. Chancen und Optionen der AÜG Reform 2017 aus der Sicht der Vertriebsverantwortlichen der pharmazeutischen Industrie

Bevorzugte Einsatzgebiete der Arbeitnehmerüberlassung

Arbeitnehmerüberlassung im pharmazeutischen Vertrieb bleibt erfolgreiches Instrument zur:

  • Rekrutierung von Mitarbeitern
  • Verlängerung der Beobachtungsdauer neuer Mitarbeiter („Try before you buy“)
  • Besetzung temporärer Vakanzen (z.B. Erziehungsurlaub, längerer Krankenstand)
  • strategischen Ausweitung der Vertriebsaktivitäten, wenn alle Kräfte des Entleihers an einem Strang ziehen
  • kurzfristige Unterstützung bei Marktausweitungen (z.B. Produktlaunch); ideal, wenn Führungsstruktur vorhanden

Bevorzugte Einsatzgebiete der Dienstleistung

  • variable und längerfristige Vertriebsausweitung
  • Betreuung von definierten Produktportfolios, für die im bestehenden Außendienst keine Kapazität oder Struktur besteht
  • Betreuung von definierten Zielgruppen, für die im bestehenden Außendienst keine Kapazität oder Struktur besteht
  • Markteintritt ausländischer Unternehmen nach Deutschland
  • Ergänzung von Cross-Media und Telesales Maßnahmen durch einen pharmazeutischen Vertrieb aus einer Hand
  • langfristige (> 18 Monate) Variabilisierung von Vertriebskosten
  • Finanzierung von Vertriebsmaßnahmen aus anderen Budgets ohne Headcount-Erhöhung

 

8. Fazit

Die Unwägbarkeiten pharmazeutischer Märkte können mit einer Variabilisierung der Marketing- und Vertriebskosten gemildert werden. Im Vertriebsoutsourcing bieten sich Arbeitnehmerüberlassungs- und Dienstleistungsprojekte an. Angesichts der neuen Limitierungen der Arbeitnehmerüberlassung wird der Einsatzbereich von Dienstleistungsprojekten bedeutsamer. Für die klassische Überlassung von Außendienstmitarbeitern sind die Begrenzung der Verleihdauer auf 18 Monate sowie das Prinzip „Equal Pay – Equal Treatment“ nach 9 Monaten die wichtigsten Neuerungen. Altverträge können bis 30.09.2018 verlängert werden. In den meisten Fällen ist in der Arbeitnehmerüberlassung im pharmazeutischen Vertrieb „Equal Pay – Equal Treatment“ bereits heute realisiert, z.B. durch Anlehnung an Tarifverträge und Realisierung von Branchenzuschlägen. Ein Check der Verträge zum 01.04.2017 wird dennoch dringend empfohlen. In Einzelfällen (z.B. nicht tarifgebundene Hersteller) gibt es weitere Chancen. Sprechen Sie mit Ihrem Dienstleister – oder mit GPS Grosch Pharma Service!

 

9. Über den Autor

Dr. med. Arnd Grosch, Jahrgang 1962, ist Arzt und Unternehmer. Als Arzt sammelte er Erfahrung im Krankenhaus, als Produktmanager in der Pharmaindustrie. Als „Kind“ der ersten Stunde war er in der Leasing-Außendienst-Branche von Anfang an dabei. Er gründete und veräußerte verschiedene Unternehmen, zuletzt rief er 2005 die Dr. Grosch Consulting GmbH mit zwei operativen Einheiten ins Leben.

Dr. med. Arnd Grosch

Der GPS Grosch Pharma Service betreibt im Kerngeschäft Marketing- und Vertriebsdienstleistungen für pharmazeutische Hersteller im Arzt- und Apothekenbereich. Der GPS Grosch Patienten Service führt aufsuchende Patientenbegleitung im Auftrag von Pharmaunternehmen und/oder Krankenkassen durch.

Ihr Ansprechpartner

Dr. med. Arnd Grosch
Dr. med. Arnd Grosch
Geschäftsführender Gesellschafter